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Advent, Kater Carson, Katja John, Kurzgeschichten, Weihnachten
Das Butterschmalz – Eine Kurzgeschichte zur Vorweihnachtszeit
Ende November hatte sie schon einmal hier gestanden. Hier vor dem Regal mit dem Butterschmalz. Zwar hatte sie die richtige Abteilung gleich gefunden, doch dann hatte sie nicht mehr weiter gewusst. Ihre Augen sind nicht mehr so gut wie früher und es gab viele verschiedene Produkte. Die Verpackungen hatten sich so ähnlich gesehen. Weiß, gelb, eckig. Und auch ein paar runde Becher. Ratlos hatte sie sich schließlich an eine andere Einkäuferin gewandt, die gerade nach einem der eckigen Päckchen gegriffen hatte. „Junge Frau, können Sie mir helfen? Ich suche das Butterschmalz.“ „Meinen Sie das hier ganz oben?“, hatte die junge Frau zurückgefragt und sich gestreckt, um eine Packung aus dem Regal zu holen. „Ist das auch richtiges Butterschmalz? Ich brauche richtiges Butterschmalz.“ „Das ist Butterschmalz. Gibt es in 250 Gramm für 3,29 Euro oder hier die größere Packung mit 500 Gramm für 6,29 Euro. Welches möchten Sie denn?“ „6,29 Euro. So teuer? Gibt es denn noch ein anderes?“
Die junge Frau hatte kurz die anderen Produkte im Regal betrachtet und geantwortet: „Das hier scheint das einzige reine Butterschmalz zu sein. Soll ich Ihnen das kleinere geben?“ Mit dem kleinen wäre sie nicht weit gekommen. Aber 6,29 Euro für 500 Gramm Butterschmalz – dann hätte sie nichts anderes mehr kaufen können. „Oder wollen Sie vielleicht doch etwas mit Pflanzenfett? Die sind günstiger.“ Sie konnte doch nicht Butterplätzchen backen mit Pflanzenfett. „Ach, danke nein. Ich nehme es ein anderes Mal mit.“, hatte sie schließlich leise vor sich hingemurmelt und auf ihre Tasche mit dem Geldbeutel geblickt.
Jetzt stand sie wieder an der gleichen Stelle. Zwar war der erste Advent schon vorbei und sie hatte noch nicht gebacken. Aber letztlich dachte sie, war es gar nicht so schlimm. Denn es war ja auch noch kein Besuch da gewesen. Anfang Dezember ist die Rente wieder ausgezahlt worden und sie wollte nun endlich das Butterschmalz für die Weihnachtsplätzchen kaufen.
Früher hatte sie immer pünktlich zur Adventszeit Plätzchen und Stollen fertig gehabt. So konnte sie dann stolz eine kleine Auswahl in der schönen Weihnachtsschale auf den Tisch neben den Adventskranz stellen. Und alle haben sich gierig darauf gestürzt. Allen voran ihr Mann, vor dem sie die Spitzbuben und Vanillekipferl verstecken musste, weil sonst zu Weihnachten nichts mehr übrig gewesen wäre. Und die Kinder, die sich so sehr über die verschiedenen Formen der ausgestochenen Butterplätzchen gefreut hatten.
Der Weg zum Supermarkt am Ortsausgang war ihr jetzt, da es kälter geworden ist, sogar noch weiter vorgekommen. Als ihr Mann noch gelebt hatte, sind sie viel gelaufen. Weite Strecken. Bei Wind und Wetter. Ganz früher noch mit den Kindern und dann später zu zweit. Noch letztes Jahr hätte ihr der kleine Fußmarsch zum Supermarkt nichts ausgemacht. Doch jetzt stachen und brannten ihre Füße, Knie und Hüften. Die Zehen spürte sie vor Kälte kaum noch. Mehrmals musste sie stehen bleiben, so schwer fiel ihr jeder Schritt. Ihre Handtasche trug sie über dem Arm und die Hände, obwohl sie gestrickte Handschuhe trug, waren durchgefroren. An den Weg zurück wollte sie gar nicht erst denken.
Sie wollte jetzt lieber daran denken, dass sie fast am Ziel war. Das letzte Stück an der Baustelle vorbei, über den großen Parkplatz. Dort klaubte sie bei den Einkaufswagen umständlich, mit steifen Fingern eine Münze aus dem Geldbeutel. Der Wagen war auch praktisch, um sich daran festzuhalten. Mit dem Einkaufswagen schob sie durch die Glastüre, die sich automatisch öffnete, hinein ins Warme, vorbei am Obst und Gemüse, an der Marmelade, an den großen Kühlschränken mit Joghurt und Quark.
Nun stand sie vor dem großen Regal, von dem sie wusste, dass ganz oben das Butterschmalz stand. Sie streckte sich, machte sich so lang sie konnte. Stellte sich sogar ein bisschen auf die schmerzenden Zehen und schaffte es allein, ganz allein, den Eimer mit dem Butterschmalz aus dem Regal zu nehmen. Ihre Augen glänzten und auch wenn man es ihrem müden Gesicht nicht sofort ansah – sie lächelte.
Gleich würde sie bezahlen. Sie drückte ihre Tasche, in der sie das Portemonnaie mit dem Geld wusste. Dann würde sie nach Hause laufen, den Plätzchenteig kneten, ruhen lassen und morgen würde sie den Teig ausrollen, Sterne, Monde, Herzen und Schmetterlinge ausstechen, diese auf ein Blech legen und backen. Es würde länger dauern als früher. Aber sie würde selbstgebackene Plätzchen in der schönen Weihnachtsschale neben dem Adventskranz auf den Tisch stellen können. Und dann würde, so hoffte sie, spätestens wenn die vierte Kerze brennt, auch endlich der Besuch kommen.
© Katja John, 2017
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